Demokratie sei mehr als nur ein Mitspracherecht bei Wahlen, betont Britta Breser. Die Fachdidaktikerin für Geschichte und Politische Bildung und Professorin für Demokratiebildung arbeitet an den Universitäten Graz und Wien. In ihrem Forschungsgebiet beschäftigt Breser sich mit dem Verständnis von politischen Prozessen, politischer Theorie, der Rolle von Bürger:innen in einer Demokratie – und wie sich das Demokratische bildet. „Wenn wir uns aber ganz wesentliche Prinzipien unseres Zusammenlebens anschauen, wie Menschenrechte oder Kinderrechte, dann kommen den Menschen bereits von Geburt an demokratische Teilhaberechte in unserer Gesellschaft zu.“
Dauer-Baustelle
Demokratie sei nichts Stabiles, erklärt die Forscherin. „Sie ist wie eine Dauer-Baustelle, die ständig überarbeitet werden muss.“ In vielen Bildungssystemen weltweit ist „Politische Bildung“ ein integraler Bestandteil des Lehrplans, der darauf abzielt, Schüler:innen zu informierten, mündigen und engagierten Menschen zu erziehen. Politische Bildung wurde in Österreich seit 2007 zunehmend stärker verankert und wird in den Lehrplänen besonders im Geschichtsunterricht integriert: „Demokratie muss als dynamischer Prozess verstanden werden, der kontinuierliche Erneuerung und aktive Teilhabe erfordert. Sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen und Geschichten darüber zu erzählen, zeigt ja, dass die Gegenwart nicht nur veränderlich ist, sondern sie ist auch veränderbar“, führt Breser aus. Der Geschichtsunterricht führt vor, dass das Politische mehr ist als nur das Demokratische. Er offenbart auch Gefährdungen und kann natürlich ein Ideengeber sein, um in der Gegenwart an gelungenen Beispielen aus der Vergangenheit zumindest anzuknüpfen.
Politische Bildung: seit 1978 im Unterricht
Als Vorbild gilt die Bundesrepublik Deutschland. Dort wurde bereits nach dem Zweiten Weltkrieg durch Initiative der Alliierten ein Rededemokratisierungsprogramm gestartet, das offen mit Politik und Bildung umgegangen ist. Österreich hinke hier hinterher, sagt Breser. Bis Ende der 70er-Jahre gab es zwischen den beiden koalierenden Großparteien keinen Konsens. „Man hat sich gegenseitige Manipulation unterstellt und darauf vergessen, dass Politische Bildung als ein fester Bestandteil im Schulsystem integriert werden muss.“ Neben einer Verstärkung des Unterrichtsprinzips Politische Bildung, das seit 1978 für alle Schulformen, Schultypen und Unterrichtsfächer existiert, brauche es auch ein eigenes, autonomes Unterrichtsfach. „Vielleicht auch so etwas wie Bildungs- und Selbstbildungs-Labore, die nicht immer nur benotet werden“, so die Fachdidaktikerin.
Superwahljahr 2024
Inwieweit interessieren sich Schüler:innen und Jugendliche wirklich für die demokratischen Entwicklungen in ihrem Land? Ihr Vertrauen in die Demokratie sinkt. Studien zufolge sehen sich viele Befragte machtlos gegenüber politischen Entscheidungen und in ihrer Rolle als Wähler:innen. So denkt derzeit nur mehr rund die Hälfte der 16- bis 26-Jährigen in Österreich, dass das politische System einwandfrei funktioniere – im Jahr 2018 waren es noch zwei Drittel. Und da kommt es schnell zu einem Politik-Verdruss. „Umfragen in der Corona-Zeit haben gezeigt, dass jene Jugendlichen, denen es sozioökonomisch schlechter gegangen ist, sich mehr aus demokratischen Entscheidungsprozessen herausgenommen haben.“ Die Kontroversen in der Gesellschaft haben durch eine pluralisierende Gesellschaft zugenommen und die finden sich natürlich im Geschichtsunterricht wieder. „Die Schule darf kein geschützter Raum sein. Da darf nicht die Tür zugemacht werden vor den Themen, die unsere Gesellschaft im Moment beschäftigen und belasten.“ Die Herausforderungen für Lehrkräfte heute sind, kontroverse Fragen aufzugreifen und ein demokratisches Bewusstsein zu fördern. Und das bedarf einer dauerhaften und tiefgreifenden Auseinandersetzung – immer und immer wieder und nicht nur im Superwahljahr 2024.
Rolle der Universität
Politische Bildung darf jedoch nicht mit dem Schulabschluss enden. Deshalb sieht sich auch die Universität Graz als Plattform für politischen Ausstausch. Im Vorfeld der Landtagswahl in der Steiermark debattieren etwa am 4. November Landtagsabgeordnete aller Parteien über die Rolle der Steiermark als Start-up-Standort. Am 13. November analysieren Peter Filzmaier und Karin Praprotnig die aktuelle politische Lage in Österreich zwischen den Urnengängen. Die Ringvorlesung Extremismus am 6. November widmet sich den Methoden der Rechts- und Linkspopulisten. Am 21. November wird die Rolle der Popmusik im Wahlkampf beleuchtet.
Global bedeutend ist die Wahl zum US-Präsidenten. Am Tag nach der Wahl (6. November) lädt das Center for Inter-American-Studies zum US-Election-Brunch, gefolgt vom Round-Table zu den US-Wahlen am Abend. Am 12. November wird die Rolle der "Gendered Culture Wars" während der US-Wahl beleuchtet.