Immanuel Kants Werk durchdringt die europäische Ideengeschichte. 1784 ermutigt er mit seinem Essay „Was ist Aufklärung?“ die Menschen dazu, aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit auszutreten. In einer Zeit der beginnenden Umsturzversuche gegen jahrhundertealte Herrschafts- und Obrigkeitsstrukturen schuf der Philosoph mit dem kategorischen Imperativ wenig später ein moralisches Leitbild, das mündige Individuen voraussetzte, keine bloßen Untertanen. 1795 folgten in seinem Werk „Zum ewigen Frieden“ Ideen zur Ordnung einer Welt ohne Krieg. Dass nur weiße Menschen in diesen Überlegungen zu Moral und Frieden als Subjekte vorkommen, stört in der heutigen Lektüre stark, besonders Paul Gragl, der in seiner Forschung oft und anhaltend über Kants Werk nachdenkt. Im Gespräch mit Gregor Fischer-Lessiak schildert der Professor für Europarecht, wo ihm der Philosoph Bewunderung und Ehrfurcht abringt, aber auch, wo diese enden.
Mit Blick auf die EU sagt die Philosophin Ursula Renz in einem Interview mit Martin Gasser in der Kleinen Zeitung vom 19.4.2024: „Wenn mit Europa eine Werte-Gemeinschaft gemeint ist, dann hätte Kant vermutlich eine solche begrüßt – wenn sie sich den Werten der Aufklärung verpflichtet. Das bedeutet aber auch, nicht nur fremde, sondern eigene Wertvorstellungen zu überprüfen.“ Einige Aussagen des berühmten Aufklärers, wie der Begriff der Menschenrassen ebenso wie antisemitische Äußerungen sind aus heutiger Sicht klar abzulehnen. Den großen Denker aus diesem Grund überhaupt nicht mehr zu beachten, hält Renz jedoch für falsch: „Kant ist ein Kind seiner Zeit. Man muss solche problematischen Passagen natürlich kritisch diskutieren, aber es wäre fatal, zu schließen, dass wir Kant deshalb nicht mehr lesen sollten. Hören wir auf, Kant zu lesen, so zahlen wir einen Preis, den zu zahlen niemand wollen kann: Wir gäben die Einsicht in zentrale Grundprinzipien der Aufklärung preis. Viel besser wäre es, wir lernten, Ambivalenzen auszuhalten.“
Reinhold Esterbauer vom Institut für Philosophie der Katholisch-Theologischen Fakultät kommt anlässlich Kants 300. Geburtstag in drei Sendungen der Reihe „Was ich glaube“ in ORF 2 zu Wort. Dabei gibt er Einblicke in das Denken des Aufklärers und zeigt, wie relevant seine Überlegungen angesichts aktueller Entwicklungen sind. Mit Kant antwortet Esterbauer auf die Fragen: Gibt es eine allgemeine Ethik? Wie ist das mit Glauben und Wissen? Was kann ich wissen, tun und hoffen?
Termine: 14. April, 21. April und 28. April 2024, immer um 16.54 Uhr in ORF 2
„Was ich glaube“: Kant fragen