Im Gespräch mit Martina Schweiger
Die Forscherin am Institut für Molekulare Biowissenschaften erläutert im Interview, wann Forschung mit Tieren hilft.
Österreichs Universitäten und außeruniversitäre Forschungsstationen haben zusätzlich zu den gesetzlichen Bestimmungen gemeinsam definiert, dass sie sich zu verantwortungsvollen Tierversuchen in Forschung und Lehre bekennen. Wie spiegelt sich das im Forschungsalltag wider? Martina Schweiger, Forscherin am Institut für Molekulare Biowissenschaften, erläutert im Interview ihren Zugang. In ihrer wissenschaftlichen Arbeit geht sie unter anderem der Kachexie auf den Grund. Dabei handelt es sich um den mit Krebs einhergehenden unaufhaltsamen Verlust von Körpergewicht.
Warum ist Forschung mit Tieren unvermeidbar?
Martina Schweiger: Die Krankheitsbilder, an denen wir arbeiten, sind systemische Erkrankungen, wie zum Beispiel Diabetes. Das heißt, es ist nicht ein Zelltyp, nicht ein Organ, sondern der ganze Organismus betroffen. Um diesen Erkrankungen auf den Grund zu gehen und neue oder verbesserte Therapieansätze zu finden, müssen wir auch den gesamten Körper betrachten und erforschen. Bei vielen Krankheiten handelt es sich nämlich um eine Fehlkommunikation zwischen den Zellen und Organen. Dazu ist es notwendig, deren Zusammenwirken in einem Organismus nachzuvollziehen. Da diese Mechanismen bei Mäusen und Menschen verwandt sind, hilft uns allen die Forschung mit Tieren enorm.
Bei welchen von Ihnen erforschten Krankheiten helfen diese Erkenntnisse?
Schweiger: Wir erforschen die Mechanismen und die Behandlung von Krebs verursachter Kachexie – eine Folgeerkrankung, die einen massiven Gewichtsverlust bedingt. Diese systemische Erkrankung ist für 20 Prozent der Todesfälle bei KrebspatientInnen direkt verantwortlich. Indirekt für viele mehr, weil bei kachektischen PatientInnen die Krebstherapie häufig nicht fortgesetzt werden kann. Die Mechanismen der Erkrankung zu verstehen und eine Behandlung zu finden, das macht erst der Modellorganismus möglich.
Und wann sind Tierversuche obsolet?
Schweiger: Haben wir einen möglichen Mechanismus gefunden, können wir die dahinterliegenden molekularen Details in der Zellkultur erforschen. Dann sind Tierversuche nicht notwendig. Wir entwickeln die Zellkultur ständig weiter, um möglichst nahe an die Situation im Organismus zu kommen. Wir arbeiten immer häufiger mit sogenannten Organkulturen, da bauen wir in einer dreidimensionalen Zellkultur unter Verwendung unterschiedlicher Zelltypen die Organe nach. Diese entwickeln auch selbst Gefäßsysteme und können die Komplexität abbilden. Wir können auf diese Weise das Wechselspiel verschiedener Zellen in einem Organ erforschen – ohne Tierversuch.
Wie sind die Tierversuche geregelt?
Schweiger: Die Versuche müssen gut begründet und ihre Unvermeidbarkeit dargestellt werden. Es ist überaus wichtig, dass nicht wahllos Tierversuche durchgeführt werden. Die Reglementierung und auch die Kontrolle durch das Bundesministerium für Bildung Wissenschaft und Forschung ist daher essenziell.
Was verstehen Sie unter verantwortungsvoller Forschung mit Tieren?
Schweiger: Ein verantwortungsvoller Tierversuch muss mehrere Kriterien erfüllen: Er muss auf einer Hypothese beruhen, die bereits mit alternativen Methoden gestärkt wurde. Er muss natürlich exakt geplant werden, damit man nicht hinterher feststellt, man hätte es doch anders machen müssen. Wir achten darauf, dass der Versuch sorgfältig und nur von geschultem Personal durchgeführt und beobachtet wird. Ein Tierversuch muss rechtzeitig beendet werden, um Schmerzen und Leid zu verhindern. Und natürlich muss die Forschung ordnungsgemäß ausgewertet und dokumentiert werden. Für jeden einzelnen Tierversuch gilt bei uns die sogenannte 3R-Regel: Replace (Vermeiden), Reduce (Verringern) und Refine (Verbessern).
Können Sie Menschen verstehen, die dieser Forschung sehr kritisch gegenüberstehen?
Schweiger: Niemand darf Tierversuche durchführen, ohne das dafür notwendige Bewusstsein und entsprechende Sensibilität mitzubringen. Auch mir liegt das Wohlergehen der Tiere am Herzen. Wir sind geschult, Schmerzen zu erkennen und zu behandeln. Ich möchte tierliebenden Menschen sagen, wir erforschen nicht die Nebenwirkungen von Kosmetika, wir erforschen tödliche Erkrankungen, für die es noch keine Heilung gibt. Ein Medikament, welches mit Hilfe von Tierversuchen erforscht und hergestellt wurde, kann Leben retten.