Welche Bedeutung hat Genderforschung in der Theologie?
Die theologische Frauen- und Geschlechterforschung analysiert, inwiefern die christliche Religion selbst dazu beigetragen hat, Frauen und diverse Geschlechter zu diskriminieren. Da findet man einiges: In der Bibel gibt es Stellen, die eine Unterordnung von Frauen legitimieren. Das muss man kritisch aufarbeiten und durch den jeweiligen sozio-historischen Kontext verstehbar machen. Mit einer unkritischen Auslegung wurden gesellschaftliche Geschlechterordnungen legitimiert, so dass sie Teil der kulturellen Codes wurden. Gerade die Bibel beinhaltet aber auch viele emanzipatorische Frauengeschichten und Ansätze, Geschlechtergerechtigkeit zu denken.
Wie viel Neues gibt es da noch zu entdecken?
Viel. Neue Methodologien, neue Ansätze in den Gender Studies oder neue archäologische Funde bereichern die Lesart der Bibel. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Mit Aufkommen und Starkwerden der queeren Perspektive in der Genderforschung wurde plötzlich deutlich, dass die Schöpfungsgeschichte in Gen 1 neu interpretiert werden muss. Gott schuf nicht nur Mann und Frau, sondern auch alle Menschen, die zwischen diesen zwei Polen stehen, weil die Schöpfung Gottes alles umfasst und gutheißt.
Was sind die größten Ziele für die nächsten 30 Jahre?
Ein wichtiges Thema für die theologische Frauen- und Geschlechterforschung wird sein, wie sie in allen ihren Disziplinen einer queeren Perspektive gerecht werden kann. Das ist insofern herausfordernd, als dass in der Katholischen Kirche und Theologie die Heterosexualität und Binarität der Geschlechter die Norm darstellt. Schon heute zeigt sich der Clash in der Theologischen Ethik in punkto Reproduktionsgerechtigkeit: Ist es aus christlicher Sicht sexualethisch legitim, wenn sich non-heterosexuelle und non-binäre Geschlechter fortpflanzen und dabei auf die Reproduktionsmedizin zurückgreifen? Unser Symposion anlässlich des 30-jährigen Jubiläums gibt dazu Einblicke.
Was sind die drei größten Errungenschaften der Vergangenheit?
Erstens: Die Theologische Frauenforschung hat die androzentrische Sichtweise auf Theologie aufgehoben, indem sie die Geschichte der Frauen in der Kirche sichtbar gemacht und die bedeutende Rolle von Frauen in der Bibel konsequent aufgearbeitet hat. Herstory!
Zweitens: Die Theologische Frauen- und Geschlechterforschung hat mit biblischen und historischen Quellen herausgearbeitet, dass Gott nicht nur männlich, sondern auch weiblich und im Grunde trans-gender ist – also jegliche Geschlechterbilder übersteigt. Ein männlicher Gott konnte so nicht mehr als Legitimation zur Diskriminierung von Frauen dienen.
Drittens: Nach der Devise „The personal is political is spiritual“ hat unsere Arbeit unzählig viele Frauen dazu bewegt, den Zusammenhang von Geschlechterordnung und Spiritualität kritisch zu hinterfragen und eine geschlechtergerechte Stellung in den Machtstrukturen der christlichen Kirchen einzufordern – und ihren persönlichen Glaubenserfahrungen Gehör zu verschaffen.
Gibt es eine Vision, unter welchen Bedingungen man die Forschung einstellen kann, weil alles erklärt ist?
Die Zukunftsvision lautet, dass Theologische Frauen- und Geschlechterforschung nicht mehr als ein spezieller methodologischer Zugriff auf Theologie betrachtet wird, sondern als integraler Bestandteil – voll der Anerkennung, weil die Frauen- und Geschlechterforschung wichtige Einsichten für die Frage nach Gott, dem Menschsein und dem Glauben ermöglichen. Im Blick auf die diskriminierenden Strukturen der Kirche wäre eine Vision realisiert, wenn alle Katholik:innen – egal welchen Geschlechts und sexueller Orientierung – bedingungslos anerkannt und strukturell gleichbehandelt werden, indem sie etwa Zugang zu allen Weiheämtern erhielten.
Geburtstagsfeste
Der Schwerpunkt Genderforschung begeht sein Jubiläum mit einem Symposium am 10. und 11. Oktober zum Thema Macht - Gender - Religion. In einem ähnlichen Rahmen hat die Koordinationsstelle für Geschlechterstudien und Gleichstellung bereits ihren 30. Geburtstag gefeiert: Mit der Tagung Menschen – Maschinen – Umwelten von 18. bis 20. September. Die Rolle von Geschlecht in der Technik, die Interaktion zwischen Mensch und Maschine oder Vorurteile in der künstlichen Intelligenz waren einige der Themen. Die Vorträge und Diskussionen analysierten die Auswirkungen informationstechnologischer Entwicklungen und Arbeitsteilung auf die Geschlechterhierarchien.