Egal ob bettlägerig oder superfit, als Teil des Kollektivs „vulnerable Gruppe“ saßen die vor 1955 Geborenen zumindest während des ersten Lockdowns im selben Boot. Und das segelte quasi über Nacht aus dem öffentlichen Raum. BewohnerInnen von Heimen blieb der Familienbesuch sogar nach ihrer Vollimmunisierung versagt. „Der Grat zwischen Schützen und Wegsperren war schmal und definitiv fragwürdig“, urteilt Alternsforscherin Ulla Kriebernegg. Nicht wenige Betroffene fühlten sich bevormundet, wussten selbst nicht genau, wo ihre persönliche Freiheit auf einmal endete. „Wer darf darüber überhaupt entscheiden? Und darf das Alter ein Faktor sein, anhand dessen man Menschen unabhängig von ihrem individuellen Gesundheitszustand über einen Kamm schert?“, fragt die Wissenschafterin.
Während viele Jüngere große Hilfsbereitschaft an den Tag legten und nötige Besorgungen übernahmen, rebellierten andere gegen die Einschränkungen, die ihnen auferlegt wurden, um Menschen zu schützen, die ohnehin nicht mehr lange leben würden. „Die Trennlinien zwischen Solidarität und Ablehnung, Jung und Alt wurden schärfer denn je gezogen“, meint Kriebernegg. Die Hoffnung bleibe, dass sie mit dem Überwinden der Pandemie wieder verschwimmen würden. „Denn betagte Menschen sind eine völlig heterogene Gruppe, die oft zum ersten Mal in ihrem Leben Unabhängigkeit genießen.“ Nicht selten trügen sie auch zur Freiheit der Jungen bei, indem sie sich um die Kinderbetreuung kümmern: „Man hat gesehen, dass das Familienmanagement wackelt, wenn Oma und Opa ausfallen.“
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