Herr Bieber, muss Europa damit rechnen, dass die USA demnächst in Grönland einmarschieren?
Florian Bieber: Bei Trump ist es schwer zu sagen, was er wirklich vorhat. Aber ich denke nicht, dass hinter seinen jüngsten Äußerungen ein ganz konkreter Plan steht. Ich sehe zwei Aspekte: Zum einen – nach dem Motto ,Flood the zone with shit‘ – bringt das viel Medienaufmerksamkeit. Es sorgt dafür, dass alle über Trump reden, und lenkt von anderen Themen ab. Das ist eine Strategie, die er seit neun Jahren sehr erfolgreich für sich nutzt. Er bestimmt die Headlines und den öffentlichen Diskurs und bringt uns in die Defensive. Zum anderen eröffnet er eine Agenda mit Inhalten, über die davor niemand diskutiert hat, und wartet, wie die anderen darauf reagieren. Vielleicht geht es um eine gute Startposition für Verhandlungen. Natürlich sind Grönland und auch der Panama-Kanal für die USA strategisch wichtig. Aber ich glaube nicht, dass Trump die Absicht hat, militärisch einzufallen. Doch wenn man unverschämte Forderungen aufstellt, sind auf einmal Sachen verhandelbar, die vorher gar kein Thema waren. Vielleicht entstehen daraus bessere Abkommen mit Grönland zur Ausbeutung von Rohstoffen oder zur Errichtung weiterer amerikanischer Militärbasen. Oder Panama senkt – hinter verschlossenen Türen – die Gebühren für die Fahrt durch den Kanal.
Wie soll die EU auf Trumps Aussagen reagieren?
Bieber: Das ist eine schwierige Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt. Natürlich muss man darauf reagieren. Man kann derartige Ansprüche nicht einfach ignorieren. Man muss klar sagen, dass öffentliche Drohungen zwischen Verbündeten inakzeptabel sind. Aber gleichzeitig sollte man vorsichtig sein, sich nicht kapern zu lassen und die globale Politik nur nach der Weltauffassung von Donald Trump zu diskutieren. ,Don’t feed the troll‘, heißt es auf Englisch. Denn das birgt das Risiko, nur mehr zu reagieren, statt selbst eine Agenda zu setzen. Und genau das ist die europäische Herausforderung: zu sagen, was WIR wollen, was für UNS wichtig ist.
Wir stabil sind die Beziehungen zwischen Europa und den USA?
Bieber: Man kann hoffen, dass es, solange Amerika eine Demokratie bleibt, strategische Übereinkünfte mit Europa geben wird. Dann als Demokratien haben wir Gemeinsamkeiten, ähnliche Interessen, ähnliche Vorgehensweisen; auch wenn die natürlich unter Trump massiv in Frage gestellt werden. Wir können uns aber nicht darauf verlassen, dass die USA als Schutzmacht unsere Sicherheit garantieren, selbst wenn sie Verbündete bleiben. Bereits unter Obama und Biden hat Amerika versucht, sich aus Europa zurückzuziehen – auf Kosten der Ukraine. Strategisch wichtiger sind für die USA ihre Interessen in China, Ostasien und im Nahen Osten.
Was bedeutet das für Europa?
Bieber: Wir brauchen in Europa eine Diskussion darüber, wie wir uns ohne die USA verteidigen können. Das umfasst den Aufbau größerer militärischer Kapazitäten ebenso wie das Bekenntnis zu einer europäischen Außen- und Sicherheitspolitik, die mehr ist, als nur defensiv zu agieren und Grenzen zu schließen. Ich glaube, kein europäisches Land kann alleine den Bedrohungen, die auf uns zukommen, begegnen. Dabei geht es nicht nur darum, sich militärisch zu verteidigen, sei es gegen Russland oder andere Länder an den Außengrenzen. Es bedeutet auch, außen- und sicherheitspolitisch im europäischen Umfeld aktiv zu sein. Wir haben ein enormes Interesse daran, dass Syrien ein halbwegs erfolgreicher Staat wird, möglichst demokratisch, möglichst pluralistisch, wohin Geflüchtete zurückkehren können. Aber jetzt, wo der Machtwechsel stattfindet, sehe ich nicht, dass sich Europa da engagiert oder überhaupt in der Lage ist, dieses strategische Interesse zu artikulieren. Das zeigt die Schwäche der EU. Um Flüchtlingsbewegungen zu verhindern, verbündet man sich teilweise mit Autokraten, die letztlich der Grund für Konflikte sind. Der Migration effektiv entgegenwirken, kann aber nur eine aktive europäische Außenpolitik, die die Fluchtursachen bekämpft.
Warum geht in dieser Hinsicht so wenig weiter?
Bieber: Europa befindet sich in einem Umbruch. Rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte werden stärker. Wir haben in einigen Staaten Regierungen, die nicht so anders ticken als Trump. Das erschwert eine starke europäische Politik. Daran zu arbeiten, ist die große Herausforderung der nächsten Jahre. Und das erfordert letztlich eine Stärkung und ein größeres Selbstbewusstsein jener Parteien, die sich für Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie einsetzen, in Opposition zu den Kräften, die eine Bedrohung für die Grundwerte der Europäischen Union darstellen.
Es scheint, dass vielen – selbst in der Politik – nicht bewusst ist, welche Bedrohung rechtspopulistische Parteien für ein starkes Europa bedeuten.
Bieber: Absolut. Ich glaube auch deshalb, weil sie ein leises Gift sind, das langsam einzieht. Natürlich werden sie nicht morgen die Demokratie abschaffen. Aber nach und nach untergraben sie das System. Das sieht man in Ländern wie Ungarn, die einfach nicht mehr demokratisch sind. Dort gibt es zwar Oppositionsparteien, aber keine kritischen Medien mehr, die das ganze Land erreichen können. Für die meisten Bürgerinnen und Bürger sind solche Entwicklungen keine unmittelbare Bedrohung. Aber die Verwundbarsten der Gesellschaft drängen sie noch mehr an den Rand. Es kommt zu einer Zunahme von Hassrede und Gewalt. Weil Menschen die Wahlerfolge dieser Parteien als Persilschein verstehen, Personen, die eine andere Hautfarbe oder einen anderen Glauben haben, anzugreifen. Am Ende wird auch jemand, der oder die nur eine kritische Stimme äußert, als Verräter oder Verräterin angefeindet.
Glauben Sie, dass die aktuellen Äußerungen von Trump und Musk dazu beitragen, Europa weiter zu destabilisieren?
Bieber: Diese destruktive Art der Einmischung und Unterstützung von rechtspopulistischen und rechtsextremen Kräften ist aus meiner Sicht absolut inakzeptabel. Aber letztlich ist es vor allem eine europäische Verantwortung, unsere Demokratie zu verteidigen. Natürlich helfen Desinformationskampagnen und andere Aktionen den Rechtsextremen – keine Frage. Aber man macht sich‘s zu leicht, wenn man versucht, die Schuld auf Russland oder jetzt auch auf die USA zu schieben, anstatt sich einzugestehen, dass wir ein Problem in Europa haben. Das bedarf einer europäischen Lösung.
Erhöht ein Rückzug der USA die Gefahr, dass Putin seine Hand weiter nach Europa ausstreckt?
Bieber: Russland ist im Moment sicherlich eine Bedrohung für Europa, aber das System Putin steht auf tönernen Füßen. Es funktioniert, es kann für den Krieg mobilisieren, es ist erstaunlich resilient trotz der relativen Isolation und dem Krieg seit bald drei Jahren. Aber kein Land kann dauerhaft so weitermachen. Die Frage ist, wie lange noch und ob es lange genug ist für Russland, um diesen Krieg so zu gewinnen, wie auch immer es ihn gewinnen will. Ich kann mir schon vorstellen, dass Putin weiter in Richtung Europa denkt. Aber ich bezweifle, dass er das Risiko eines Krieges mit der NATO eingehen will. Insofern hängt viel von der Klarheit dieses Militärbündnisses und der EU ab. Wenn es scheint, dass Estland sich selbst überlassen ist, dann wäre die Versuchung vielleicht da. Sonst hat er anderswo, in Georgien, vielleicht Aserbaidschan, Kasachstan oder Moldau sicherlich mehr Spielraum.
Sie sind ein starker Befürworter der EU-Osterweiterung. Warum?
Bieber: Einerseits um zu zeigen, dass die Europäische Union stark und handlungsfähig ist. Denn das signalisiert natürlich nach außen hin, innenpolitisch nicht gelähmt zu sein. Andererseits kann es nur im europäischen Interesse sein, keine Grauzone um sich herum zu haben. Wäre die Ukraine EU- und NATO-Mitglied gewesen, glaube ich nicht, dass Russland eingefallen wäre. Grauzonen schaffen Instabilität und Möglichkeiten für andere, dort ihren Einfluss durchzusetzen. In Bezug auf die Ukraine denke ich auch, dass Europa diesem Land, das so viel geopfert hat, eine reale Perspektive in der EU geben muss. Andernfalls würde das die Beziehungen sehr belasten und Europa langfristig schaden. Und es wird wichtig sein zu überlegen, wie man nach Putin ein pluralistisches, nicht aggressives Russland an Europa andocken kann, um zu verhindern, dass es erneut eine Bedrohung wird. So wie man Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg integriert hat. Ich bin sicher kein Anhänger der Meinung, dass NATO-Osterweiterung oder andere Politiken eine Ursache für den Ukraine-Krieg sind – die Verantwortung liegt eindeutig bei Putin –, aber ich glaube schon, dass man versäumt hat, Russland in den 1990er- und 2000er-Jahren Möglichkeiten der strukturellen Anbindung anzubieten. Das hat es Putin erleichtert, diesen Krieg anzuzetteln.