Nach dem Doktorat in der Forschung bleiben oder doch einen Job anderswo annehmen? Immer mehr junge Wissenschaftler:innen entscheiden sich – nicht nur in Österreich – dafür, die Universität nach der Dissertation zu verlassen. Gründe gibt es viele, zum Beispiel eine bessere Work-Life-Balance, höhere Einkommen oder ein dynamischeres Image der Arbeitergeber:innen in der Privatwirtschaft. Verliert die Wissenschaft zunehmend ihre Talente?
Andere Vorstellungen
Joachim Reidl, Vizerektor für Forschung der Universität Graz, sieht tatsächlich einen Trend in diese Richtung, der eng mit der aktuellen wirtschaftlichen Situation verflochten ist: „Viele Studierende oder Studieninteressierte glauben, dass sich eine gute Uni-Ausbildung später gehaltstechnisch bezahlt macht. Dadurch, dass Studien oft länger dauern, verliert diese Vorstellung aber mitunter an Glaubwürdigkeit.“ Für eine Karriere in der Wissenschaft braucht es außerdem großes Durchhaltevermögen, weiß Reidl: „Eine fixe Anstellung zu bekommen, dauert – und man weiß nicht, ob es klappt. Die Novelle des Universitätsgesetzes sieht für junge Forscher:innen zudem vor, dass ihr Dienstverhältnis auf maximal acht Jahre befristet ist.“
Dazu kommen weitere Faktoren, die die Universitäten insgesamt betreffen – Unterfinanzierung, mitunter schwierige Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie sowie teilweise straffe Hierarchien, die abschreckend sein können. Dabei sind Postdoktorand:innen im Gesamtgefüge einer Universität ein wichtiger Schlüsselfaktor für die Forschungsleistung.
Talente behalten: Der Mix macht‘s
Wie also den Trend umkehren? Dazu braucht es, so Reidl, sowohl kurzfristige Maßnahmen als auch Strategien mit Weitblick. Um ihre Postdoktorand:innen zu unterstützen, hat die Universität Graz spezielle Angebote geschaffen, die die Gesundheit dieser Gruppe forcieren, zum Beispiel kostenfreie psychologische Beratungen für arbeitsbezogene Herausforderungen. Ein eigens eingerichtetes PostDoc-Büro funktioniert seit zwei Jahren als Drehscheibe für Vernetzung, Weiterbildungen und Förderung. Und auch eine Betriebsvereinbarung zur wissenschaftlichen Karriere schafft mehr Transparenz sowie planbare und flexible Karriereperspektiven für Postdoktorand:innen.
Längerfristig arbeitet die Universität Graz an ihrer Attraktivität als Arbeitgeberin und ihrem „Image“. Vizerektor Reidl erklärt: „Dazu gehört einerseits eine klare Definition der Werte und Ziele unserer Universität. Und andererseits auch eine Modernisierung der Wissenschaftszweige durch internationale Kooperationen – etwa durch die Partner:innen innerhalb der europäischen Hochschul-Allianz Arqus.“
Außerdem ist es das Gebot der Stunde, sich in allen Gesellschaftsschichten, allen Herkunftsländern und bei allen Geschlechtern nach den hellsten Köpfen in der Forschung aktiv umzusehen. „Wir wollen eine möglichst große Diversität unter unseren wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und mehr Frauen in Professuren. Diese müssen wir aber auch halten können“, unterstreicht Reidl.
Disktuieren Sie mit: “Exit to the right: Is academia losing its talents?”
Das Thema der „Abwanderung“ junger Forschungstalente ist auch Thema der Jahresveranstaltung des PostDoc-Büros. Diskussionen und Vorträge fragen danach, wie ein Umfeld geschaffen werden kann, in dem sich Forscher:innen entfalten und ihre beste Arbeit leisten können.
Veranstaltung: “Exit to the right: Is academia losing its talents?”
Zeit: Donnerstag, 4. Mai 2023, 17 bis 19:30 Uhr
Ort: Unicorn, Schubertstraße 6a, 8010 Graz