Franz Brentano (1838–1917), Neffe der berühmten RomantikerInnen Clemens und Bettina, war einer der einflussreichsten Philosophen der Wende zum 20. Jahrhundert. Er gilt als der Begründer der Österreichischen Philosophie und lieferte als Lehrer von Edmund Husserl wichtige Impulse für die Phänomenologie. Seine Thesen spielen heute noch eine zentrale Rolle, etwa in der Philosophy of Mind.
Das Brentano-Archiv an der Universität Graz beherbergt seit Kurzem einen wesentlichen Teil seines Nachlasses. Dem Betreuer der Einrichtung, Thomas Binder, gelang es, neben der bereits vorhandenen wissenschaftlichen Bibliothek des Philosophen und den Beständen des einstigen Brentano-Archivs in Prag die letzten noch in Privatbesitz befindlichen Dokumente nach Graz zu holen. Der übrige Nachlass befindet sich seit 1966 in einer Sondersammlung der Harvard College Library. „Damit sind nun endlich alle wichtigen Dokumente des Philosophen an zwei öffentlichen Orten zugänglich“, freut sich Binder, der viel Energie in lange Verhandlungen mit Brentanos Nachkommen investiert hat.
Historische Schätze
Eines der Schmankerl in Graz ist das mehr als 600 Seiten umfassende Manuskript von Brentanos Habilitationsschrift über „Die Psychologie des Aristoteles“, ein Klassiker der Aristoteles-Forschung. Von selbiger Arbeit beherbergt das Archiv auch ein sogenanntes durchschossenes Exemplar – also ein Buch mit einem leeren Blatt nach jedem bedruckten – mit umfangreichen Kommentaren des Autors. Von großem Interesse für die Forschung ist auch das Andruck-Exemplar der „Psychologie vom empirischen Standpunkt“, des Hauptwerks des Philosophen. „Brentano hat das in kürzester Zeit geschrieben, entsprechend viele handschriftliche Korrekturen sind in diesem Dokument enthalten, ein Teil davon stammt von seinem Schüler Carl Stumpf, der später als Musikpsychologe Bedeutung erlangte“, berichtet Binder. Viele Aufschlüsse erwartet sich der Betreuer des Archivs auch aus der jetzt neu hinzugekommenen Korrespondenz Brentanos, die mehr als 4000 Briefe umfasst, darunter über tausend von seiner beziehungsweise an seine Mutter Emilie. „Sie hat einen wesentlichen Beitrag zur ersten Gesamtausgabe der Schriften von Clemens Brentano geleistet, war Übersetzerin und in den höchsten katholischen Kreisen Deutschlands und darüber hinaus vernetzt. Auf ihren Wunsch hin wurde Franz zunächst Priester“, weiß der Grazer Forscher. Nach der Dogmatisierung der Unfehlbarkeit des Papstes legte er allerdings das Amt zurück, trat aus der Kirche aus und später sogar die Wiener Jüdin Ida von Lieben. Das hatte existenzielle Konflikte mit der strenggläubigen Mutter zur Folge, die auch seine wissenschaftliche Karriere beeinträchtigten.
Weltweites Interesse
Der Grazer Teil des Brentano-Nachlasses wird nun digitalisiert und steht dann über das Portal gams.uni-graz.at allen Interessierten zur Verfügung. Anfragen zu den Dokumenten gibt es bereits aus aller Welt, unter anderem aus China und Japan. Binder konzipiert weiters ein FWF-Projekt, um auf der Basis der neu hinzugekommenen Korrespondenzen Brentanos die erste ausführliche Biografie des Philosophen verfassen zu können.