Wenn der Kulturwissenschaftler Peter Pichler zu einer Veranstaltung einlädt, dann geht es meistens – nein immer – um Heavy Metal. Der Grazer hat seinen Musikgeschmack zum Forschungsgebiet erklärt und analysiert und beobachtet das Genre seit vielen Jahren am Institut für Rechtswissenschaftliche Grundlagen. Besonders die steirische Szene hat es ihm angetan. Gemeinsam mit dem Metal-Fan und Soziologen Hartmut Rosa sprach Pichler jüngst über die wahren Werte des musikalischen Schwermetalls und über Resonanzen, die er bei uns Menschen erzeugt. Rosa hat dazu sogar ein Buch mit dem Titel "When Monsters Roar and Angels Sing. Eine kleine Soziologie des Heavy Metal" geschrieben.
Rückblick in die Geschichte
Entstanden Ende der 1960er-Jahre aus dem Hard Rock, ist der Heavy Metal eine Anlehnung an die britische Stahlindustrie mit ihrem Epizentrum Birmingham, der Heimat der Gruppen Black Sabbath und Judas Priest. „Metal ist harte Rockmusik, aber um ein Vielfaches härter, verzerrter und stilisierter“, führt Peter Pichler in das Thema ein. Gitarrensolos öffnen Transzendenzfenster, Texte beschreiben den Kampf zwischen zwei Welten und mit sich selbst. Thematisiert wird auch das Bewusstsein einer Rechtsordnung, die Anfang der 70er umgeworfen werden soll. Nach dem Vietnamkrieg, gegen den die Flower-Power-Bewegung klar Stellung bezogen hatte, war es Zeit für was Neues. Black-Sabbath-Frontman Ozzy Osbourne trug T-Shirts mit der Aufschrift „Hippie Killer“ und am Debütalbum der Band wurde ein verkehrtes Kreuz aufgedruckt. Protest stand am Plan und der wurde musikalisch aufgearbeitet.
Ein immer wieder kehrender Topos ist die Dialektik Himmel und Hölle, das Gute und das Böse. Das Paradigma bestimmte im Mittelalter die Welt- und Rangordnung, überdauerte die Aufklärung und lebt heute im Metal weiter: Songs wie „Heaven and Hell“ (Black Sabbath), „The Number of the Beast“, „Fear of the Dark“ (Iron Maiden), „Nightcrawler“ (Judas Priest) oder „Am I Evil“ (Diamond Head) sind Zeugen dieses Kampfes und unter Fans Fixpunkte im Metal-Universum.
„Die Angst vor dem Unbekannten ist immer da. Menschen sehnen sich gerade in Zeiten von Kriegen und Krisen nach Sicherheit und bauen Verbindungen zu Bezugspunkten in der Welt auf, die ich Resonanzen nenne“, erklärt Rosa. „Diese Berührungen, das In-Beziehung-Treten ist vor allem bei Musik gut erkennbar.“ Schallwellen, die über die Lautsprecher zu hören sind, werden vom Körper aufgefangen und versetzen ihn in Schwingung und steuern so die Stimmung – Resonanzkörper. Musik berührt also.
Ebenso kann Religion als eine Resonanzversicherung verstanden werden. Durch Beten nimmt der Mensch eine Verbindung mit einer Gottheit auf und tritt mit ihr in einen geistigen Dialog. „Genauso verhält es sich bei dieser Musik“, betont der Soziologe. Texte sind eine Art heilige Schrift und Bands übernehmen eine Zeugenschaft für das Leben ihrer Fans. Diese Band-Fan-Verbindung lässt sich klar an einigen Parametern festmachen: lange Haare, entsprechende schwarze oder dunkle Kleidung und Accessoires wie Leder, Nieten und Ketten.
Epiphanie auf der Bühne
Für einen funktionierenden Kult stehen auch die aufwendigen und kostspieligen Reisen zu Konzerten. In keiner anderen Musikrichtung sind solche Pilgerfahrten zu beobachten. Gruppengesang und Massentanz im Publikum in Verbindung mit Feuer, Licht und Nebel auf der Bühne. „In der Regel ist der Konzertbeginn einer Schwermetall-Band stark ritualisiert und kann sehr gut mit dem religionswissenschaftlichen Begriff der Theophanie, das unerwartete und plötzliche Auftauchen eines Gottes, gleichgesetzt werden“, fasst Hartmut Rosa zusammen. Leadsänger wie Rob Halford von Judas Priest oder Bruce Dickinson von Iron Maiden erscheinen auf der Bühne und verschwinden auch, plötzlich, wenn das Konzert zu Ende ist.
Doch was steckt tatsächlich hinter diesem ganzen fetten Gemisch von Stahl, Leder, Lärm und Nebel? Metal ist für seine Fans eine Kraftquelle. Er ist eine existenzielle Rückversicherung und produziert das Elixier, das seine Hörer:innen für ein Überleben in der Welt benötigen. Schlussendlich ist es wie bei klassischer Musik: "Hört man Bach oder Beethoven in einem Konzertsaal, wähnt man sich in Sicherheit. Hört man lauten Schwermetall ist das Gefühl ähnlich heimelig. Diese Musik umarmt einfach", sagt Rosa.
Buchtipp:
Rosa, Hartmut: "When Monsters Roar and Angels Sing. Eine kleine Soziologie des Heavy Metal". Hrsg. von Charalampos Efthymiou, Peter Kritzinger und Peter Pichler. Metalbook Bd. 1. Stuttgart: Kohlhammer 2023.