Die Männer sind im Krieg, die Äcker vermint oder von Panzern zerfurcht, es fehlen Saatgut und Arbeitskräfte, um sie zu bestellen. Obwohl dem ganzen Land Hunger droht, konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf die zerbombten Städte und die darin eingeschlossenen Menschen.
Nein, das ist kein Lagebericht aus der Ukraine, sondern aus dem Ersten Weltkrieg. Die Situation heute ist aber nahezu dieselbe. Das veranschaulicht die soeben eröffnete Ausstellung „In einer zerrissenen Zeit: Das Dorf vor hundert Jahren“, die bis 30. Oktober im Grazer Museum für Geschichte zu sehen ist.
„Damals wie heute ist die Landbevölkerung ein blinder Fleck, obwohl sie vom Krieg besonders betroffen ist und die Menschen in den Städten mitversorgen muss“, fasst Uni-Graz-Historiker Harald Heppner zusammen. Er leitet das Forschungsprojekt „Zwischen Angst und Hoffnung. Rurale Perspektiven im Zeitalter des Großen Krieges“, das die wissenschaftliche Basis für die Schau liefert.
Anders als nüchterne Kriegsberichte vermitteln die Bilder der Ausstellung vorranging die Ängste und Sorgen der steirischen Landbevölkerung im frühen 20. Jahrhundert. Ihre emotionale Situation ist ebenfalls mit der aktuellen Lage in der Ukraine vergleichbar: „Die Ungewissheit ist ein irres Problem. Die Menschen haben die Zuversicht verloren, dass sie ihre Zukunft planen können“, schildert der Historiker.