Demokratie-Müdigkeit auf der einen Seite, Wutbürgertum auf der anderen – irgendetwas scheint in der Kommunikation zwischen den Menschen im Land und ihrer politischen Vertretung falsch zu laufen. Schließlich sollten doch WählerInnen jenen Parteien oder Personen ihre Stimme geben, von denen sie sich am besten vertreten fühlen, damit „die da oben“ dafür sorgen, dass geschieht, was sich „die da unten“ wünschen. Ein Problem könnte bei den aktuellen Wahlverfahren liegen. Diese will ein interdisziplinäres Forschungsteam der Karl-Franzens-Universität Graz nun näher untersuchen und Optimierungsmöglichkeiten ausloten.
Was sich die österreichischen BürgerInnen von der Politik wünschen, können sie derzeit bei Wahlen nur mit einem Kreuzerl und eventuell noch einer Vorzugsstimme zum Ausdruck bringen. Mehr Möglichkeiten, ihre Überzeugungen kundzutun, haben sie nicht. Führt dieses Kreuzerl dann auch zu einem Wahlergebnis, das den Wünschen der Menschen wirklich gerecht wird? Wie gut sind die derzeit angewendeten Wahlverfahren geeignet, die individuellen Präferenzen in eine kollektive Gesamtentscheidung zu überführen? Diese Frage steht im Zentrum eines neuen Forschungsprojekts an der Uni Graz. Unter der Leitung des Ökonomen Ao.Univ.-Prof. Dr. Richard Sturn befasst sich ein interdisziplinäres Team mit dem Themenkomplex „Wahl – Auswahl – Entscheidung“. Projektpartner sind der Politikwissenschafter Univ.-Prof. Dr. Peter Filzmaier, Ao.Univ.-Prof. Dr. Christian Klamler vom Institut für Finanzwissenschaft und Öffentliche Wirtschaft sowie Ao.Univ.-Prof. Dr. Ulrich Pferschy vom Institut für Statistik und Operations Research.
In der Theorie konnte bereits gezeigt werden, dass die aktuellen Verfahren nicht ideal sind. Alternativen werden seit Jahren diskutiert. So würden zum Beispiel Wahlen, bei denen für mehrere KandidatInnen verschiedene Punktezahlen vergeben werden können, feinere Informationen liefern. Gleichzeitig aber würde die Wahl dadurch komplizierter werden. „Die theoretische Forschung hat Vor- und Nachteile verschiedener Verfahren aufgezeigt, was jedoch fehlt, sind empirische Studien. Diese Lücke soll unser Forschungsvorhaben nun schließen“, unterstreicht Richard Sturn die Bedeutung des Projekts.
Ziel ist, bei einer konkreten politischen Wahl unter anderem durch Befragung der WählerInnen umfangreiche Informationen zu sammeln. „Anhand dieser Daten, von denen es bisher keine vergleichbaren gibt, kann im Detail analysiert werden, welche Folgen es hat, wenn ein Verfahren nur wenig Information – wie etwa das Ankreuzen von nur einer Option – erfasst“, so Sturn. Wie groß wird dadurch die Diskrepanz zwischen den Überzeugungen der WählerInnen und dem Wahlergebnis, ist die Frage. Mit den neuen, einzigarten Daten ließen sich die in der Theorie gewonnenen Erkenntnisse endlich empirisch überprüfen.
Gleichzeitig wird untersucht, wie Wahlverfahren gestaltet sein müssen, damit sie die tatsächlichen individuelle Präferenzen möglichst umfassend in einer Gesamtentscheidung widerspiegeln, dabei auch effizient durchführbar sind und von den WählerInnen akzeptiert werden. Wie diese Verfahren auch für wirtschaftliche Entscheidungen genutzt werden können, ist eine weitere Forschungsfrage, die zu klären sein wird.
Die Uni Graz fördert das Projekt „Wahl – Auswahl – Entscheidung“ im Rahmen der Initiative „Unkonventionelle Forschung“.