Talare, Hämmer und feierliche Schwüre – sie gehören zu Ritualen, die in der Justiz seit Jahrhunderten eine wichtige Rolle spielen. „Bis heute gibt es etwa das Absperren des Gerichts, also es inneren Bereichs während einer Verhandlung“, erklärt Gernot Kocher, emeritierter Professor für Rechtsgeschichte. Das war schon im Mittelalter üblich, obwohl es keine Gerichtssäle gab. „Damals wurde einfach mit Haselstauden abgesperrt.“
Auch der Talar hat eine lange Geschichte, sagt Kocher: „Ursprünglich war er die Tracht der Priester und später der Akademiker.“ Nach den Reformen Kaiser Josefs I. und der Übernahme der Rechtsprechung durch Juristen trugen sie diese Robe auch im Gericht.
Bis dahin war die Laiengerichtsbarkeit über Jahrhunderte die Regel. „Die Bauern aus der näheren Umgebung wurden zum Gerichtsdienst verpflichtet“, erklärt Kocher. Heute gibt es wieder Geschworenen- und Schöffengerichte. „Das ist aber eine Entwicklung des 20. Jahrhunderts“, sagt der Experte. Man hat hier eine alte Tradition neu belebt.
Es gibt sehr alte Rituale, die heute fast vergessen sind, so der Rechtshistoriker. „Früher war es in einigen Regionen Österreichs Gang und Gebe, dass die Bauern der Region einmal im Jahr zusammen die Felder abschritten und die Grenzen kontrollierten.“ Mit der Einführung des Grundbuchs und des Katasters verlor dieser Brauch an Bedeutung.
Rituale im Rechtsbereich haben für den erfahrenen Juristen eine wichtige Funktion. „Sie stärken das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz und vermitteln zugleich eine respekteinflößende Distanz".
Stärkung der Demokratie
Das Vertrauen in staatliche Institutionen stärkt die Demokratie, erklärt Matthias Lukan, Professor am Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft. Das sei auch einer der Zwecke von Ritualen wie der Angelobung. „Das beginnt ganz oben bei der Bundesregierung, die vor dem Bundespräsidenten ihre Rechts- und Verfassungstreue schwört.“
Dieser Vorgang wiederholt sich auch alljährlich bei der Angelobung der wehrpflichtigen Rekrut:innen vor dem Bundespräsidenten oder Landeshauptleuten. „Sogar bei eher untergeordneten Ämtern gibt es Rituale. So müssen etwa Mitglieder der Weinkostkommissionen ihre Neutralität beschwören“, führt Lukan aus.
Ein ureigenes österreichisches Ritual ist sind die Verhandlungen im Rahmen der Sozialpartnerschaft. Diese hat sich in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt, auch mit Blick auf die Geschichte der Diktatur im Ständestaat. „Jeden Herbst treffen sich die Vertreter der Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen. Dann beginnen mit viel Aufsehen ihre Verhandlungen um Gehaltsanpassungen“, erklärt Lukan. Die Folge ist ein Ritual, das die viele Österreicher:innen sehr schätzen: Die alljährliche Gehaltsanpassung. Eine Tradition, die in anderen Staaten keineswegs üblich ist.