In Österreich wurde bereits 1920 der Verband der Gerichtsdolmetscher gegründet. 1958 ratifizierte der Staat die Europäische Menschenrechtskonvention, die erstmals das Recht auf eine:n Dolmetscher:in im Strafverfahren sicherstellt. Das gilt für Termine bei Polizei und Gerichten. 2010 erschien eine EU-Richtlinie mit umfangreicheren Regelungen, etwa zur Qualifikation der Dolmetscher:innen oder der schriftlichen Übersetzung von Aktenstücken. „Bis Ende 2013 musste diese Richtlinie von allen Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. Sie ist zu verstehen als Teil des Rechts auf ein faires Verfahren, das in Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegt ist“, erklärt David Weiss. Er arbeitet am Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft (ITAT) der Uni Graz an seiner Dissertation.
„Lange Zeit hat man der Translation keine besondere Beachtung geschenkt. Sie wurde zu großen Teilen von Personen ohne Ausbildung oder andere Qualifikation übernommen“, berichtet der junge Forscher. Heute sind bei Gericht und Polizei nur mehr zertifizierte Dolmetscher:innen zugelassen.
Qualitätsstandards schaffen
Die Entwicklungen sind positiv, aber es wären noch weitere Verbesserungen wünschenswert. „Es braucht Qualitätsstandards. Denn das Dolmetschen im Strafverfahren ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe und kann das Vertrauen in den Rechtsstaat stärken. Gerade in einem unausgewogenen Machtgefüge spielt es für die Fairness eine essenzielle Rolle“, sagt Weiss.
Beim Dolmetschen gehe es nicht darum, Wort für Wort zu übersetzen. „Die Kunst besteht darin, komplexe Sachverhalte zu erfassen und sie den Personen in der Zielsprache verständlich und inhaltlich korrekt zu vermitteln“, beschreibt er die Herausforderung. Die Dolmetscher:innen müssten juristisches Fachvokabular in allen Arbeitssprachen verstehen und Grundkenntnisse über das Verfahren haben. Daneben gelte es soziale, psychologische und kulturelle Faktoren zu berücksichtigen. „Nicht zuletzt braucht es auch spezielle Fähigkeiten und Fertigkeiten wie zum Beispiel Dolmetsch- und Notizentechniken. Dafür wird eine entsprechende Ausbildung benötigt“, so Weiss.
Arbeitsgruppe Kommunaldolmetschen
Um die Qualität der Translation weiter zu fördern, muss sowohl im öffentlichen Bereich als auch in der Lehre das Bewusstsein für die gegenseitigen Anforderungen noch wachsen. Zukünftige Fachkräfte in Behörden, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sowie in der Justiz sollten Know-how für den Umgang mit Dolmetscher:innen erwerben. Und Dolmetschstudierende müssen lernen, mit anderen Berufen zu kooperieren. Zu diesem Zweck werden Lehrveranstaltungen in Kooperation mit NGOs durchgeführt. „Wir konzipieren auch Übungen, in denen zum Beispiel Medizin- und Dolmetschstudierende gemeinsam Behandlungs- und Beratungsgespräche trainieren“, berichtet die Dolmetschwissenschaftlerin Şebnem Bahadır-Berzig. Sie hatte die Idee zu diesen interprofessionellen und interuniversitären Lehrveranstaltungen. Aktuell leitet sie zusammen mit ihrer Kollegin Nadja Grbić die Arbeitsgruppe (AG) Kommunaldolmetschen.
Vor zehn Jahren auf Initiative von Grbić gegründet, schlägt die AG eine Brücke zwischen Forschung, Lehre und Praxis, um das Kommunaldolmetschen sichtbarer zu machen und zu professionalisieren. „Unter Kommunal- oder Dialogdolmetschen versteht man das mündliche Übersetzen in Alltagssituationen, in denen Menschen diese Unterstützung brauchen, um einen fairen Zugang zu Informationen, Versorgungsstrukturen, Dienstleistungen oder zum Recht zu bekommen“, erklärt Grbić. Das kann bei Gericht sein, im Krankenhaus, bei Behörden, Banken, Schulen oder auch gegenüber Vermieter:innen. „Kommunaldolmetschen fördert die Integration und vor allem die Partizipation von nicht- und wenigdeutschsprachigen Menschen. Es trägt dazu bei, dass diese Personen mit ihren Bedürfnissen stärker wahrgenommen werden. Das ist eine wichtige Form von Respekt und Anerkennung in einer Migrationsgesellschaft“, erklärt Şebnem Bahadır-Berzig.
Professionalität fördern
Einerseits ist die AG, die aus Forschenden und Lehrenden besteht, eng mit dem Arbeitsbereich Translation, Migration und Minderheiten am ITAT verbunden. Andererseits kooperiert sie intensiv mit Institutionen in der Praxis. „Das Bewusstsein, was professionelles Dolmetschen leisten kann und dass das wichtig ist, hat in den letzten zehn Jahren auf jeden Fall zugenommen. Nicht nur Behörden, auch NGOs arbeiten heute lieber mit Profis“, weiß Grbić und berichtet: „In Graz koordinieren die NGOs Zebra und Omega Pools von Dolmetscher:innen, finanziert von Stadt und Land. Wir an der Uni Graz bilden in einem Masterstudium Kommunaldolmetscher:innen aus, die dann zum Teil aus diesen Pools vermittelt werden.“ Seit 2016 stellt zum Beispiel das Land Steiermark Mittel für das Übersetzen und Dolmetschen in Schulen, unter anderem bei Elterngesprächen, zur Verfügung.
Die AG organisiert auf Anfrage Weiterbildung, etwa für Mitarbeiter:innen von NGOs oder für Jurist:innen. „Wir möchten das gegenseitige Vertrauen fördern, damit sich beide Seiten als Kooperationspartner:innen sehen und gut zusammenarbeiten können“, so Grbić. Der Universitätslehrgang Kommunaldolmetschen, der gemeinsam mit UNI for LIFE angeboten wird, startet nach einer Neustrukturierung demnächst mit einem aktualisierten, in theorie- und praxisbezogene Module gegliederten Curriculum.
Informationen zu allen in Österreich verfügbaren Aus- und Weiterbildungen in diesem Bereich finden sich in der Datenbank der Plattform Dialogdolmetschen, der auch die Uni Graz als Netzwerkpartnerin angehört.