Speed Reading: Was ist das überhaupt?
Speed Reading-Techniken versprechen besonders schnelles Lesen: Mehrere Phrasen oder sogar ganze Absätze soll man so mit einem Blick erfassen können. Als Pionierin in diesem Bereich wird meist die US-Amerikanerin Evelyn Wood genannt. Sie rief mit ihrem Ehemann schon 1959 das Speed Reading-Programm „Reading Dynamics“ ins Leben. Forscher:innen zweifeln allerdings daran, ob ihre Methoden schnelles Lesen und ausreichendes Textverständnis tatsächlich kombinieren können (Rayner et al. 2015).
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Mittlerweile findet man unzählige Bücher, Blog-Beiträge und Kursangebote zu Speed Reading. Schneller lesen zu können, wünschen sich viele – auch an der Uni wäre es oft praktisch. Tatsächlich haben schon einige Universitäten, darunter die Harvard University, Speed Reading-Kurse für Studierende angeboten. Zwei populäre Methoden aus solchen Büchern & Kursen stellen wir dir weiter unten vor.
Wissenschaftliche Texte & Speed Reading: Passt das zusammen?
Viel schnelleres Lesen und dabei den Text genauso gut (oder sogar besser, wie gelegentlich versprochen wird) verstehen – klingt fantastisch. Und leider, wie eine Review von Keith Rayner und Kolleg:innen nahelegt, bleibt es meist genau das: eine Fantasie. Wer schneller liest, büßt dafür auch an Textverständnis ein, schreiben die Autor:innen. Gerade bei wissenschaftlichen Texten sollte Speed Reading also kaum funktionieren: Die sind schließlich fast immer komplexer und komplizierter als Romane oder populärwissenschaftliche Literatur.
Dennoch kann es sinnvoll sein, auch als Student:in Speed Reading-Techniken anzuwenden – etwa wie in den folgenden Situationen:
- Du markierst beim Speed Reading wichtige Stellen, sodass du sie danach noch einmal genauer lesen kannst.
- Du möchtest eine bestimmte Information in einem Text finden.
- Du liest ein populärwissenschaftliches Buch, um einen „sanften“ Einstieg in ein Thema zu bekommen.
Zwei Speed Reading-Techniken im Überblick
Die folgenden Methoden stammen aus dem Buch Speed Reading fürs Studium des Pädagogen Günther Koch. Sie finden sich aber in ähnlicher Form in sehr vielen Speed Reading-Büchern bzw. werden auch in Kursen angewandt (z. B. Iris Reading).
1. Führungshilfe einsetzen
Vielleicht erinnerst du dich noch daran, wie das bei dir mit dem Lesen-Lernen war. Hast du damals auch einen Stift in der Hand gehalten und bist Buchstabe für Buchstabe, Zeile für Zeile damit „mitgegangen“, als du deine ersten Leseversuche gewagt hast?
Eine solche Führungshilfe mag an Leseanfänger:innen erinnern. Tatsächlich aber zählt sie zu den gängigen Speed Reading-Methoden. Die Idee dahinter ist, dass sich die Augen so auf ein Objekt in Bewegung fixieren können und über den Text „geführt“ werden. Dadurch soll vermieden werden, dass der Blick willkürlich auf der Seite umherspringt.
In Speed Reading fürs Studium beschreibt Koch die Methode wie folgt (S. 33):
- Lege die Zeigehilfe möglichst flach auf dem Buch auf.
- Führe sie unterhalb der Zeilen entlang.
- Fixiere dabei bewusst die Spitze deiner Zeigehilfe.
- Wenn du sie aus den Augen verlierst, halte einen Moment inne und richte den Blick erneut auf die Spitze.
Koch schlägt vor, zunächst tatsächlich nur dem Objekt (z. B. einem Stift) mit den Augen zu folgen, ohne wirklich zu „lesen“. Dazu kann man das Buch z. B. auf den Kopf stellen und so 10 Minuten lang üben. Danach empfiehlt Koch eine 5-10 Minuten lange Übungsphase mit „richtigem“ Lesen.
2. Einsparungen vornehmen
Auch die zweite Speed Reading-Methode bezieht sich auf die Augen: Nun geht es um das sogenannte periphere Sehvermögen. Damit ist gemeint, dass man in der Regel nicht nur das Wort wahrnimmt, auf das die Augen gerade fixiert sind. Zugleich wird auch das eine oder andere Wort links oder rechts daneben erfasst.
Laut Koch kannst du deine Lesegeschwindigkeit erhöhen, indem du deine Führungshilfe nicht direkt beim ersten Wort einer Zeile ansetzt, sondern 1-2 Zentimeter eingerückt. Am Ende der Zeile gehst du dann mit der Führungshilfe nicht bis zum letzten Wort, sondern springst davor schon in die nächste Zeile.
Das klingt jetzt vielleicht ein wenig kompliziert, ist aber im Grunde genommen ein einfaches Konzept. Die folgende Abbildung aus Kochs Buch veranschaulicht es noch einmal (S. 47):
Üben, üben & noch einmal üben – nur so klappt es mit dem Speed Reading
Hast du die zwei Methoden schon ausprobiert? Dann wirst du vielleicht bemerkt haben, dass sich die Lesegeschwindigkeit nicht sofort spürbar erhöht. Wie auch Koch betont: „Übung macht den Meister [oder die Meisterin] – Lesen Sie mehr und häufiger, um schneller zu lesen“ (S. 56).
Zu dieser Erkenntnis gelangten auch Rayner und Kolleg:innen. Nur durch beständiges Üben wird die Lesegeschwindigkeit schneller, ohne dass das Textverständnis verloren geht – einen „simplen Trick“ gibt es hier leider nicht.
Ist Speed Reading wirklich die beste Methode für schnelles Lesen?
Die Effektivität von Speed Reading-Techniken darf – auch bei täglichem Üben – durchaus angezweifelt werden. Wie bereits erwähnt, deuten Studien darauf hin, dass deutlich schnelleres Lesen mit geringerem Textverständnis einhergeht. Peter Rösler, Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schnell-Lesen, weist auf ein weiteres spannendes Studienergebnis hin (Radach et al. 2010): Nicht die Speed Reading-Techniken an sich sollen die Lesegeschwindigkeit erhöhen. Stattdessen sei es „einfach nur der Wille, besser zu lesen“ (Rösler 2016, 4).
Ob Speed Reading für dich selbst funktioniert, wirst du wohl nur durch zwei Dinge herausfinden: Ausprobieren und Üben. Wenn dich diese Herangehensweise interessierst, findest du am Ende dieses Artikels Buchtipps mit praktischen Übungen und Selbsttests (online über die Uni-Bib oder generell frei verfügbar). Bevor du weiterscrollst, möchten wir aber noch folgendes Zitat hervorheben:
Das größte Potenzial zur Steigerung der Leseleistung liegt vielleicht im Verzicht auf das Lesen überflüssiger Texte.
Lesemanagement statt Speed Reading
Wie das Zitat impliziert, sparst du dir als Student:in wahrscheinlich durch kluge Textauswahl die meiste Lesezeit. Das bedeutet: Statt die gleiche Menge an Texten viel schneller zu lesen, liest du weniger Texte in dem Tempo, in dem du dich am wohlsten fühlst und auch am meisten mitnehmen kannst.
Rösler bezeichnet das als Lesemanagement. Um herauszufinden, welche Texte für dich relevant sind, schlägt er eine schrittweise Herangehensweise vor. Dabei entscheidest du nach jedem Schritt, ob dir der Text weiterhelfen kann – wenn nicht, legst du ihn gleich wieder weg.
Bei Büchern führt Rösler die folgenden Schritte an (126-127):
- Buchtitel
- Autor:in und Verlagsangaben
- Charakterisierung (z. B. auf dem Buchumschlag oder zu Beginn des Buches unter der Überschrift „Über dieses Buch“)
- Inhaltsverzeichnis
- Register (wenn vorhanden)
- Literaturverzeichnis
- Vorwort, Geleitwort und Einleitung
Scheint das Buch nach dieser ersten Sichtung immer noch relevant zu sein, geht es weiter zu den nächsten beiden Schritten:
- Blättern im Sekundentakt (um Struktur des Buches zu erfassen und Abbildungen zu erkennen)
- Abbildungen (stellen meist besonders wichtige Sachverhalte dar)
Erst wenn ein Buch (oder allgemein ein Text) beim letzten Schritt noch als relevant empfunden wird, geht es ans „richtige“ Lesen. Hier kannst du deine Lesezeit ebenfalls verkürzen, indem du z. B. bei jedem Kapitel den ersten und letzten Absatz und dazwischen jeweils den ersten Satz eines Absatzes liest. Stößt du so auf ein für dich wichtiges Thema, kannst du den Absatz entweder für später markieren oder gleich genau lesen.
Der riesengroße Vorteil im Vergleich zum Speed Reading: „Lesemanagement muss nicht geübt werden, Lesemanagement muss einfach gemacht werden“ (Rösler 129). Du musst also nicht tage-, vielleicht sogar wochenlanges Üben einplanen, sondern kannst sofort mit deiner Textauswahl nach den oben angeführten Schritten beginnen.
Ganz wichtig: Wissen, wonach man sucht
Bevor du dich in Bücherberge stürzt, sollte dir natürlich eines klar sein: Wonach suchst du überhaupt? Ist es Inspiration für eine Seminararbeit? Oder hast du dein Thema schon eingegrenzt und brauchst nun spezifische Informationen? Schreibe dir am besten auf, auf welche Fragen du Antworten suchst! So wird es dir um einiges leichter fallen, relevante Texte auch als solche zu identifizieren.
Auch für das „genaue Lesen“ von wirklich relevanten Texten gibt es verschiedene Techniken. Die bekannte SQ3R-Methode schlägt z. B. vor, nach einem ersten Überblick Fragen an den Text zu stellen.
Fazit – die wichtigsten Punkte zum Speed Reading:
- Schnelleres Lesen klappt nur durch Übung.
- Mit höherer Lesegeschwindigkeit sinkt meist das Textverständnis.
- Trotzdem macht schnelles Lesen in gewissen Situationen Sinn (z. B. um wichtige Textstellen herauszufiltern und später genau durchzugehen).
- Ob Speed Reading-Techniken für dich funktionieren, probierst du am besten selbst aus.
- Lesemanagement ist für Studierende (und auch Wissenschaftler:innen!) auf jeden Fall empfehlenswert.
Literaturempfehlungen für dich, wenn du Speed Reading ausprobieren möchtest:
Koch, G. (2015). Speed Reading fürs Studium. UTB. à Online-Ressource der UniBib
Rösler, P. (2016). Grundlagen des Schnell-Lesens. Exclam!-Verlag. à zum Download verfügbar unter diesem Link
Quellen
Koch, G. (2015). Speed Reading fürs Studium. UTB.
Radach, R., Vorstius, C., & Fürth, S. (2010). „Speed-reading – Die Vision vom schnellen Verstehen.“ Forschungsmagazin der Bergischen Universität Wuppertal, Nr. 15, 18-23.
Rayner, K., Schotter, E. R., Masson, E. J., Potter, M. C., & Treiman, R. (2016). Psychological Science in the Public Interest, vol. 17(1), 4-34.
Rösler, P. (2016). Grundlagen des Schnell-Lesens. Exclam!-Verlag.
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