Trotz ist eine ambivalente Haltung. Zum einen verbindet man ihn mit Eigensinn, ja Sturheit: Trotzig ist, wer, womöglich gegen bessere Einsicht, an etwas Unvernünftigem oder Schädlichem festhält, justament oder, wie man in Österreich sagt, aus Bestemm. Zum anderen ist Trotz eine Bedingung des Widerstands: Wer jemandem trotzt, der harrt auf seinem Posten aus und widersetzt sich, mitunter auch einer Übermacht.
Die Vorlesung fragt nach den Begriffen von Recht und Gerechtigkeit und befasst sich mit historischen Phänomenen des Aufbegehrens gegen die Obrigkeit – wie Holzfrevel und Wilderei – und deren Niederschlag in der Literatur. Sie widmet sich hochmotivierten Einzelkämpfern wie Karl Kraus und fiktiven Galionsfiguren des Trotzes von Michael Kohlhaas bis zu den rappelköpfigen Protagonisten Peter Handkes. Mag der Querulant einen üblen Ruf genießen und der Querdenker jüngst seine Unschuld verloren haben, so nötigt uns der Querkopf doch nach wie vor Respekt ab. In seiner weiblichen Ausprägung galt er lange als besondere Provokation: Der Trotzkopf musste fügsam gemacht, die Widerspenstige gezähmt werden. Macht all das den Trotz schon zur Tugend? Sind es ehrenwerte Motive, die hinter der Auflehnung gegen eine woke Denk- und Sprachregelung stecken, oder ist es narzisstische Beschränktheit? Ist nicht die Kunst an sich in einer feindlichen Umgebung auf Trotz angewiesen?
Daniela Strigl, geboren 1964 in Wien, Literaturwissenschaftlerin, Essayistin, Kritikerin. Sie studierte Germanistik, Theaterwissenschaft, Philosophie und Geschichte an der Universität Wien, promovierte über Theodor Kramer und lehrt seit 2007 an der Universität Wien Neuere deutsche Literatur. 2018 Habilitation. Sie publiziert zudem Essays und Kritiken in überregionalen Medien wie Der Standard, Die Presse, FAZ, Die Welt und Literatur und Kritik. Jurymitglied u. a. für den Preis der Leipziger Buchmesse und den Bremer Literaturpreis. Diverse Auszeichnungen u. a. Österreichischer Staatspreis für Literaturkritik 2001, Berliner Preis für Literaturkritik 2015, Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik 2019. Kuratorin gemeinsam mit Klaus Kastberger des Literaturfestivals O-TÖNE. Zuletzt: Alles muss man selber machen. Biographie. Kritik. Essay. Zur Kunst des Schreibens. Band 1, Droschl 2018, Gedankenspiele über die Faulheit, Droschl 2021, Sinn und Sinnlichkeit. Lesen, verstehen, schwelgen. Münchner Reden zur Poesie. Stiftung Lyrik Kabinett 2021.
Die Frühlings- und Herbstvorlesungen der Akademie Graz werden als Essays seit 2009 in der Reihe Unruhe bewahren im Residenz-Verlag veröffentlicht.
In Kooperation mit Akademie Graz