Dieser Vortrag analysiert Nam June Paiks Fluxus-Performance »One for Violin Solo« (1962) im Kontext ihrer fotografischen Dokumentation, Technologisierung und Aktualisierung in Reenactments zeitgenössischer YouTube-Kultur. Schon als Paik am 16. Juni 1962 eine klassische Violine in klangvoller Destruktion vor dem Publikum der Kammerspiele Düsseldorf auf einem Tisch zerschmetterte, waren fotografische Kameras in Stellung, um die Perfomance in reproduzierende Bilder zu überführen. Das zeitgebundene Destruktionsstück war nicht im Sinne einer vorgängigen Aufführung und einer nachträglichen Dokumentation konzipiert – die fotografische Codierung war ursprünglich und die Bildwerdung der Instrumentenzerstörung Programm. Diese Medialisierung zwischen Klang, Objekt, Performance und Bild erfährt auf digitalen Sharing-Plattformen wie YouTube oder Instagram eine Aktualisierung und Verstärkung: das Fluxus-Stück wird in Reenactments in privaten Jugendzimmern und öffentlichen Gallerien (z.B. León Gallery in Manila) massenweise wiederaufgeführt und in die Infrastrukturen heutiger Bildkulturen eingespeist, wo es überraschende Amalgamierungen mit der Popkultur eingeht.
Dr. Katja Müller-Helle ist Leiterin der Forschungsstelle »Das Technische Bild« an der Humboldt-Universität zu Berlin und Herausgeberin der Zeitschrift »Bildwelten des Wissens« (zusammen mit Claudia Blümle). Sie war von 2013 bis 2019 Postdoktorandin in der Kollegforschergruppe »BildEvidenz. Geschichte und Ästhetik« an der Freien Universität Berlin. 2014-2015 und 2018 war Katja Müller-Helle Fellow der Volkswagenstiftung am Getty Research Institute in Los Angeles. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte und Theorie der Fotografie, Verfahren der visuellen Evidenzerzeugung und Techniken der digitalen Bildzensur. Katja Müller-Helles Texte erschienen bei Texte zur Kunst, im Merkur und in den Kritischen Berichten. Zuletzt erschienene Bücher: Katja Müller-Helle, Bildzensur. Infrastrukturen der Löschung, Berlin: Wagenbach Verlag: 2022; Das Sichtbare und das Sagbare. Evidenz zwischen Text und Bild in Roland Barthes‘ „Mythen des Alltags“, Göttingen: Wallstein Verlag 2020 (mit Peter Geimer).
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