Philosophie und Phänomenologie der Wahrnehmung
Referent: Prof. Lambert Wiesing (Jena)
Traditionellerweise interessiert sich die Philosophie für das Ich der Wahrnehmung, weil dieses Ich die Wahrnehmung hervorbringt; durch seine Leistungen soll die Entstehung von Wahrnehmung erklärt werden. Doch wenn sich diese Erklärungen und Modelle über die subjektiven Bedingungen der Möglichkeit von Wahrnehmung als Mythen entlarven, scheint ein dezidiert phänomenologisches Projekt notwendig zu werden, das über die umgekehrte Abhängigkeit nachdenkt.
Genau das ist das Thema des Vortrages: Es soll gezeigt werden, dass die Phänomenologie sich innerhalb der Philosophie der Wahrnehmung durch eine spezifische Fragestellung auszeichnet. Nicht das Ich, welches die Wahrnehmung hervorbringt, gilt es zu thematisieren, wenn die Philosophie der Wahrnehmung an die eigenen Erfahrungen gebunden sein soll, sondern die Wahrnehmung, die mich hervorbringt, die mich in der Welt sein lässt.
So sinnvoll die skeptische Haltung gegenüber den gegenwärtig dominanten Strömungen der Philosophie der Wahrnehmung auch ist, sie braucht nicht das letzte Wort zu haben: Wer wahrnimmt, weiß, wie es ist, ein Wahrnehmender zu sein. Dieses besondere, unzweifelhafte Wissen des Menschen um seine eigene Lage ist das Thema einer Phänomenologie der Wahrnehmung, die um der sicheren Erkenntnis willen auf jede Art der Unterstellung und Modellbildung zu verzichten versucht.