Die wachsende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen ist ohne Einbeziehung einer geldsoziologischen Perspektive nicht zu verstehen. Die in diesem Vortrag vertretene Geldtheorie beobachtet Geld dabei nicht vornehmlich als einen besonders attraktiven Tauschwert, sondern als ein Geflecht sozialer Beziehungen. Sie nimmt damit den Umstand ernst, dass wir in modernen Gesellschaften mit Bankschulden bezahlen. Geld ist nicht nur ein besonders liquides Vermögen, sondern eine Gläubiger-Schuldner-Beziehung zwischen einer Bank und ihrem Kunden. Diese Gläubiger-Schuldner-Beziehungen bedingen und ermöglichen sich wechselseitig, sie bilden ein Geflecht („money grid“). Umfang und Dynamik dieses Beziehungsgeflechts wird maßgeblich von privaten Banken bestimmt. Sie schöpfen Geld sozusagen „auf Knopfdruck“ bei der Kreditvergabe, weitestgehend unabhängig von den Zentral- und Notenbanken. Dieser Umstand wurde in den sozialwissenschaftlichen Geldtheorien lange Zeit ebenso unterschätzt wie in den Erklärungen zunehmender Ungleichheit. Erst durch die Einbeziehung privater Geldschöpfung lassen sich die Verteilungseffekte der ökonomischen Transformation in den letzten etwa 40 Jahren überzeugend rekonstruieren.
Zum Vortragenden:
Dr. rer. pol. Aaron Sahr ist Wissenschaftler am Hamburger Institut für Sozialforschung. Er studierte Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaft an den Universitäten Kassel und Düsseldorf, lehrte und lehrt u.a. an der Leuphana Universität Lüneburg und ist Mitglied der Fachredaktion von Soziopolis. Im Frühjahr 2017 publizierte er seine Dissertation Das Versprechen des Geldes. Eine Praxistheorie des Kredits. Im Herbst erschien Keystroke-Kapitalismus. Ungleichheit auf Knopfdruck (beide Hamburger Edition).