Wozu brauchen wir im 21. Jahrhundert noch den Weltfrauentag? Unterminiert der nicht sogar die Gleichstellung? Rita Perintfalvi beantwortet letztere Frage mit einem klaren „Nein“, denn sie sieht über Jahrhunderte erkämpfte Rechte immer stärker in Gefahr. Die aus Budapest stammende Forscherin am Institut für Alttestamentliche Bibelwissenschaft an der Universität Graz ortet systematische frauenfeindliche Tendenzen auch in Österreich. „Diese Entwicklungen in Europa machen mir Angst. Wir hätten uns vor zehn Jahren in Ungarn nicht gedacht, dass sich die Situation so rasch verschlechtern kann“, stellt sie fest. Auch Polen hat ja zu Jahresbeginn mit dem Defacto-Abtreibungsverbot die weibliche Selbstbestimmung zu einem empfindlichen Teil ausgehebelt. „Die Moralvorstellungen einer Religion dürfen nicht in der Gesetzgebung eines säkularen Staats Platz finden“, mahnt die Wissenschafterin. Im westlichen Teil des Kontinents sei diese Haltung zwar noch kein Mainstream, aber in Ansätzen überall vorhanden. „Ultrakonservative christliche Kreise unterstützen das“, so Perintfalvi. Obwohl die Kirche als Institution wegen schwindender AnhängerInnen immer schwächer werde, könne schnell ein Kulturkampf unter dem Motto „Verteidigung der christlichen Werten“ entstehen: „Es geht weniger um eine religiöse als um eine kulturelle Identität. In Abgrenzung gegenüber anderen Glaubensrichtungen – besonders dem Islam – besinnen wir uns sehr wohl unserer christlichen Wurzeln“, erklärt die Bibelwissenschafterin. Rechtspopulistische Politik und gleichgesinnte Organisationen verstärken den Prozess. Sie bilden Allianzen mit FundamentalistInnen, die ein vormodernes Menschen- und Frauenbild vertreten. Eine Veränderung traditioneller Geschlechterrollen empfinden sie als Bedrohung für die Männlichkeit, Familie und Nation. Dass sie einfache Antworten auf komplexe Fragen versprechen und bewusst Ängste schüren, verschaffe ihnen Zulauf, meint die Forscherin.
Salami-Taktik
In Ungarn wurden in den letzten Jahren die Menschen- und Frauenrechte scheibchenweise beschnitten. „Die Eingriffe waren nie massiv, daher hielt sich der Widerstand in Grenzen. Mittlerweile sind nur noch 11,6 Prozent Frauen unter den Parlamentsabgeordneten, daher werden weibliche Interessen dort auch in sehr geringem Maße vertreten“, berichtet Perintfalvi. Das Fach „Geschlechterstudien“ wurde an staatlichen Universitäten 2018 verboten – mit der Begründung, es widerspreche christlichen Werten. Auch in der lutherischen Kirche in Lettland verloren Seelsorgerinnen nach Jahrzehnten ihre Stellen, weil ein neuer Erzbischof die Bibel fundamentalistisch auslegte.
In ganz Europa streben neorechte Gruppierungen nach möglichst homogenen Gesellschaften, kritisiert die Forscherin. „,Das Volk‘ soll eine identitär geschlossene Einheit sein, MigrantInnen, Zugehörige anderer Religion oder sexuelle Minderheiten, auch Obdachlose werden aggressiv abgewehrt“, führt sie aus.
Konsequenter Dialog und das Sichtbarmachen akademischer Erkenntnisse in der Gesellschaft sind für sie der einzige Weg, der diese Entwicklung aufhalten kann. „Als theologische Genderforscherin stelle ich natürlich auch die Frage: ‚Wo sind die Männer diskriminiert?‘ Wir finden es beispielsweise immer noch komisch, wenn sie in Kindergärten arbeiten, weil wir kulturell geprägte Bilder im Kopf haben.“ Aber diese könne man ändern, ist Perintfalvi überzeugt.