Wie kann man Verbrechen bestmöglich aufklären und zukünftige verhindern? Wie zuverlässig sind die vorgelegten Beweise in einem Verfahren? Und welche Sachverständigen können helfen, die Wahrheit zu finden? Diese Fragen spielen in der Gerichtspraxis eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, gerechte Urteile zu fällen und angemessene Strafen zu verhängen. Um zukünftigen Jurist:innen das dafür nötige Wissen zu vermitteln, hat die Uni Graz Lehrveranstaltungen der Kriminologie und der Kriminalistik im Studium der Rechtswissenschaften verankert – als erste österreichische Universität im Rahmen von zwei Spezialisierungen. Neben der Lehre soll auch die Forschung intensiviert und die Kooperation mit der Praxis gefördert werden. Dreh- und Angelpunkt ist das neu gegründete „Hans Gross Zentrum für interdisziplinäre Kriminalwissenschaften“ (ZiK), benannt nach einem Pionier der Kriminologie, der um die Wende zum 20. Jahrhundert in Graz wirkte.
Verbrechen aufklären, erklären und verhindern. Wichtige Grundlagen, damit Polizei, Anwält:innen und Richter:innen mit Unterstützung weiterer Expert:innen diese Ziele erreichen, liefern die Kriminalwissenschaften. Dazu gehören verschiedene Fachrichtungen: neben der Kriminologie und der Kriminalistik, etwa „forensische Disziplinen“, wie die Gerichtsmedizin, die Ballistik, die forensische Psychologie oder die forensische Linguistik, die mit Schrift- und Sprachanalysen Täter:innen auf der Spur ist. „Mit dem ZiK wollen wir an der Uni Graz eine interdisziplinäre Kriminalwissenschaft etablieren, das vorhandene Know-how aus verschiedenen Bereichen der Universität zusammenführen und uns international sowie mit Fachleuten aus der Praxis vernetzen“, sagt Nina Kaiser. Die Juristin bildet mit Gabriele Schmölzer und Thomas Mühlbacher das Team des ZiK. und leitet als „Motor“ des neuen Zentrums dessen erste Projekte. Eines wird vom Land Steiermark im Rahmen der Ausschreibung „Unkonventionelle Forschung“ gefördert. Es beschäftigt sich mit den Überlegungen der Gerichte, welche Strafen notwendig sind, um Täter:innen von weiteren kriminellen Handlungen abzuhalten.
Die Studierenden profitieren vom ZiK dadurch, dass neueste Forschungsergebnisse aus den Kriminalwissenschaften ins Jus-Studium einfließen und sie von internationalen Expert:innen auch Einblicke in die Praxis, wie etwa Tatortarbeit, Gerichtsmedizin oder digitale Terrorfahndung bekommen.
Lange Tradition
Mit dem ZiK führt die Uni Graz eine Tradition fort, die mit Hans Gross (1847–1915) begann. Der Richter, Staatsanwalt und Universitätsprofessor gilt als einer der Väter der Kriminologie. Mit seinem „Handbuch für Untersuchungsrichter“ und dem Tatortkoffer sorgte er in den 1890er-Jahren international für Aufsehen. 1895 eröffnete er das „Criminal-Museum am Landesgericht für Strafsachen“. Seine Sammlung von „corpora delicti“ ermöglichte Studierenden, Juristen und Kriminalbeamten eine Ausbildung an Hand von Gegenständen dokumentierter Verbrechen. Zu bestaunen sind sie heute noch im Kriminalmuseum der Uni Graz.
„Es ist höchste Zeit, dass nun die modernen Kriminalwissenschaften Eingang in die Lehre finden und in der Forschung neue Impulse setzen“, sagt Nina Kaiser. „Weltweit sind Kriminologie und Forensic Sciences an Universitäten etabliert. Österreich holt jetzt auf.“
>> Hans Gross Zentrum für interdisziplinäre Kriminalwissenschaften
>> Nina Kaiser im AirCampus-Interview