Gesellschaftliche Veränderungen bringen neue Herausforderungen, Wünsche und Werthaltungen mit sich. Um die soziale Ordnung, den Zusammenhalt und ein konstruktives Miteinander zu gewährleisten, muss das Recht diesen Veränderungen entsprechend immer wieder nachjustiert werden. Stehen Reformen an, ist es sinnvoll, über den Tellerrand der eigenen Disziplin und der nationalen Rechtsordnung zu schauen und sich Anregungen aus anderen Ländern zu holen. Das macht Walter Doralt, der seit Mai 2019 an der Universität Graz Professor für Bürgerliches Recht, Europäisches Privatrecht und Rechtsvergleichung ist.
„Wir müssen die Rechtsprechung kritisch begleiten und zeigen, wie man es besser machen kann“, bringt Walter Doralt eine Aufgabe von JuristInnen in der Wissenschaft auf den Punkt. Er selbst vergleicht im Rahmen seiner Forschung unterschiedliche zivilrechtliche Bestimmungen europäischer Länder miteinander, um auf Basis der Analyse von Vor- und Nachteilen positive Reformen anzuregen.
Einen Schwerpunkt bildet dabei unter anderem das Thema Vertragsstrafen. In wirtschaftlichen Beziehungen können Unternehmen und ihre KundInnen regeln, welche Strafe eine Firma zu zahlen hat, wenn eine Leistung oder ein Produkt nicht wie vereinbart erbracht oder geliefert wird. Die Möglichkeit, Vertragsstrafen festzulegen, kann für beide Seiten nützlich sein. Zum einen gibt sie KundInnen ein gewisses Maß an Sicherheit und Vertrauen. Zum anderen können Unternehmen, zum Beispiel Baufirmen, wenn Sie hohe Vertragsstrafen vereinbaren, dies als Marketing-Signal nutzen, weil sie damit ihre Seriosität unterstreichen. Letzteres funktioniert in Österreich aber nicht: „Hierzulande lassen sich Vertragsstrafen ab einer gewissen Höhe vor Gericht nicht mehr durchsetzen. Nach zwingendem Recht können sie von einem/einer RichterIn immer herabgesetzt werden, weil es als unethisch betrachtet wird, wenn dadurch ein Unternehmen schwer geschädigt würde“, erklärt Doralt.
Der Jurist hat diesbezüglich die Rechtsordnungen in Österreich, Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien miteinander verglichen. „Sie alle gehen unterschiedlich mit dem Thema um, wobei das zwingende österreichische Recht ist hier auffällig restriktiv ist“, so sein Fazit und gleichzeitig seine Kritik: „Unsere Wirtschaft würde von mehr Spielraum profitieren. Vor allem für neue MarktteilnehmerInnen könnten hohe Vertragsstrafen, die auch exekutierbar wären, eine Chance bieten, sich zu etablieren.“
Die Offenheit, Probleme auch aus der Perspektive der Ökonomie zu betrachten, und der Blick in andere Länder sind Doralt bei allen seinen Forschungsfragen wichtig. Sein bisheriger Lebenslauf spiegelt die internationale Ausrichtung ebenfalls wider. 2017 habilitierte sich der Jurist, der an der Universität Wien Rechtswissenschaften studiert hatte, an der Bucerius Law School in Hamburg. Davor arbeitete er als Wissenschafter insgesamt rund zehn Jahre am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg. Hinzu kommen Tätigkeiten in Forschung und Lehre an Universitäten in Oxford, Mailand, Münster, Regensburg und Berlin.
2011 hat Doralt das European Law Institute mitbegründet. Als internationales Forum ermöglicht die private Initiative JuristInnen aus Wissenschaft und Praxis den fach- und generationenübergreifenden Austausch. Zu den rund 1500 Mitgliedern zählen über 100 Institutionen, darunter der Europäische Gerichtshof. Mit seiner Expertise unterstützt das Institut unter anderem auch das EU-Parlament.
An der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz schätzt der Jurist das besondere Interesse, sich zu öffnen, sowohl für die europäische Dimension als auch für andere Disziplinen, in der Forschung ebenso wie in der Lehre: „Das ist eine wesentliche Voraussetzung für Zukunftsorientierung.“
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